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VERKEHRSRECHT

BGH Urteil vom 11.10.2022, VI ZR 35/22

 

Kein Nutzungsausfall bei einem Zweitwagen

BGB § 823 Abs. 1 und Abs. 2 F

 

a) Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der vorübergehenden Entziehung der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs besteht nicht, wenn dem Geschädigten ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung ihm zumutbar ist.

b) Die Unzumutbarkeit der Nutzung des weiteren Fahrzeugs lässt sich nicht mit dem Argument begründen, dass das Fahrzeug, dessen Nutzung vorübergehend entzogen ist, gegenüber dem Zweitfahrzeug eine höhere Wertschättzung des Geschädigten erfahre, etwa weil ihm ein höheres Prestige zukomme, es ein anderes Fahrgefühl vermittle oder den individuellen Genuss erhöhe. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2022 - VI ZR 35/22 - LG Leipzig AG Leipzig - 2 -

 

 Die Revision gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 17. Dezember 2021 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen

 

Tatbestand: Die Klägerin ist Eigentümerin eines Pkw Porsche Turbo S Cabriolet. Sie hatte das Fahrzeug in einer Garage der Beklagten geparkt, die an die L-AG vermietet war. Anlässlich von Rechtsstreitigkeiten der Beklagten mit der L-AG blockierte die Beklagte vom 20. Juli bis 3. August 2020 die Ausfahrt des Pkw aus der Garage mittels eines davor abgestellten Fahrzeugs. Die Klägerin war zu dieser Zeit Eigentümerin eines weiteren Pkw, eines 3er BMW Kombi. Sie begehrt für die Blockade ihres Fahrzeugs durch die Beklagte eine Nutzungsausfallentschädigung von 175 € pro Tag, insgesamt 2.450 €. Sie hat behauptet, sie habe in der fraglichen Zeit einen viertägigen Urlaub an den Gardasee geplant, der mit dem Porsche Cabriolet habe durchgeführt werden sollen; von einer Gleichwertigkeit des BMW mit diesem Fahrzeug könne nicht ausgegangen werden.

 

1 - 3 - Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, wonach der Klägerin kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung zustehe, damit begründet, dass ihr mit dem BMW ein Zweitwagen zur Verfügung gestanden habe, dessen Nutzung ihr möglich und zumutbar gewesen sei. Dies schließe auch bei vorsätzlichem Besitzentzug einen Nutzungsausfallschaden aus. Dem stehe nicht entgegen, dass dem Porsche Turbo S Cabriolet ein deutlich höheres Prestige als dem BMW zuzusprechen sei, da die Wertschätzung für ein bestimmtes Fahrzeug von vornherein kein Kriterium für eine Nutzungsentschädigung sei. II. Die Revision hat keinen Erfolg. Die Beklagte war zwar im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten. Gleichwohl ist über die Revision der Klägerin nicht durch Versäumnisurteil, sondern durch Endurteil (unechtes Versäumnisurteil) zu entscheiden, da sie sich auf der Grundlage des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (BGH, Urteile vom 10. Februar 1993 - XII ZR 239/91, NJW 1993, 1788, juris Rn. 9; vom 14. Juli 1967 - V ZR 112/64, NJW 1967, 2162, juris Rn. 7, 9; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 555 Rn. 6). 2 3 4 5 - 4 - Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch zusteht, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin ist kein Vermögensschaden entstanden. 1. Zwar hat die Beklagte durch ihr Verhalten rechtswidrig und schuldhaft das Eigentum der Klägerin an dem Pkw Porsche und damit ein Rechtsgut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verletzt, indem sie durch die Blockade der Garagenausfahrt die Benutzung des Fahrzeugs verhindert hat (vgl. zur Eigentumsverletzung in solchen Fällen Senatsurteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14, VersR 2016, 1194 Rn. 17 mwN; BGH, Urteil vom 31. Oktober 1974 - III ZR 85/73, BGHZ 63, 203, 206, juris Rn. 11). Ferner hat sie, sofern die Klägerin unmittelbare Besitzerin des Fahrzeugs war, den Tatbestand der verbotenen Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) erfüllt und damit auch gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2009 - V ZR 144/08, BGHZ 181, 233 Rn. 15 mwN). Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Absätze 1 und 2 BGB setzt aber den Eintritt eines ersatzfähigen Schadens voraus, woran es vorliegend fehlt (dazu sogleich 2. und 3.). Nichts anderes gilt für einen etwaigen Anspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus § 826 BGB. 2. Ersatzfähig ist grundsätzlich nur der Vermögensschaden (materieller Schaden). Gemäß § 253 Abs. 1 BGB kann Entschädigung für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (immaterieller Schaden), nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden, wie etwa das Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB oder die Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit gemäß § 651n Abs. 2 BGB. Die Voraussetzungen dieser Entschädigungsregelungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin ist demnach auf die Geltendmachung eines materiellen Schadens beschränkt. 6 7 8 - 5 - 3. Aus der vorübergehenden Entziehung der Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs kann sich zwar ein ersatzfähiger Vermögensschaden ergeben. Ein solcher scheidet jedoch vorliegend aus, weil der Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Zweitwagen zur Verfügung stand, dessen Nutzung ihr zumutbar war. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist. Dabei müssen die Nutzungseinbußen an objektiven Maßstäben gemessen werden können. Der Tatrichter soll den Schadensersatz nicht an unkontrollierbaren subjektiven Wertschätzungen festmachen müssen, die ihm der Geschädigte angibt, sondern an Werten, die der Verkehr dem Interesse an der konkreten Nutzung beimisst (Senatsurteile vom 23. Januar 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 5; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 9; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 222 f., juris Rn. 39). Bei der Prüfung, ob nach der Verkehrsauffassung der vorübergehende Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes als wirtschaftlicher Schaden gewertet werden kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Das verlangt die in § 253 BGB getroffene gesetzgeberische Entscheidung, wonach immaterieller Schaden nur ausnahmsweise, nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist (Senatsurteile vom 23. Januar 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 6; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 9; BGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 Rn. 10). Stellt sich der zeitweise Verlust unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nicht als wirtschaftlicher Schaden, sondern als individuelle Genussschmälerung dar, handelt es sich um einen nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 6 mwN). 9 10 - 6 - Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entschädigung für den Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen grundsätzlich bejaht (z.B. Senatsurteile vom 15. April 1966 - VI ZR 271/64, BGHZ 45, 212, 215, juris Rn. 7 ff.; vom 18. Mai 1971 - VI ZR 52/70, BGHZ 56, 214, 215, juris Rn. 2; vom 23. November 2004 - VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151, 154, juris Rn. 6; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 6, 8 mwN; BGH, Urteil vom 30. September 1963 - III ZR 137/62, BGHZ 40, 345, 348 ff., juris Rn. 10 ff.). Nach der Verkehrsauffassung und allgemeiner Rechtsauffassung stellt die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs innerhalb und außerhalb des Erwerbslebens geeignet ist, Zeit und Kraft zu sparen und damit - in Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln - das Fortkommen im allgemeinsten Sinne zu fördern (Senatsurteil vom 23. Januar 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 7; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 6 mwN; vom 18. Mai 1971 - VI ZR 52/70, BGHZ 56, 214, 215 f., juris Rn. 4). Um sicherzustellen, dass der Geldersatz für Verluste im eigenwirtschaftlichen Einsatz der Sache ungeachtet der notwendigen Typisierung und Pauschalierung einer konkreten, auf das jeweils betroffene Vermögen bezogenen Schadensbetrachtung verhaftet bleibt, und um dem schadensrechtlichen Grundsatz des Bereicherungsverbots gerecht zu werden, ist die Zuerkennung der Entschädigung aber davon abhängig, dass der Eigentümer sein Fahrzeug in der fraglichen Zeit benutzen wollte und hierzu in der Lage war. Darüber hinaus muss die Entbehrung der Nutzung auch deshalb "fühlbar" geworden sein, weil der Geschädigte das Fahrzeug mangels eines weiteren geeigneten Kraftfahrzeugs für seine alltägliche Lebensführung wirklich gebraucht hätte (Senatsurteile vom 23. Januar 11 12 - 7 - 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 8; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 7; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 9. Juli 1986 - GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 219 f., juris Rn. 32; vgl. auch Senatsurteil vom 4. Dezember 2007 - VI ZR 241/06, NJW 2008, 913 Rn. 10 für gewerblich genutztes Kfz). An einem fühlbaren Nutzungsausfall fehlt es daher, wenn dem Geschädigten ein weiteres Fahrzeug zur Verfügung steht, dessen ersatzweise Nutzung ihm zumutbar ist (Senatsurteil vom 14. Oktober 1975 - VI ZR 255/74, NJW 1976, 286, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. März 2012 - 1 U 108/11, juris Rn. 7; OLG Koblenz, VersR 2018, 1275, juris Rn. 7; Oetker in MüKoBGB, 9. Aufl., § 249 Rn. 76). Die Unzumutbarkeit der Nutzung des weiteren Fahrzeugs und damit ein Schaden lassen sich nicht mit dem Argument begründen, dass das Fahrzeug, dessen Nutzung vorübergehend entzogen ist, gegenüber dem Zweitfahrzeug eine höhere Wertschätzung des Geschädigten erfahre, etwa weil ihm ein höheres Prestige zukomme, es ein anderes Fahrgefühl vermittle oder den individuellen Genuss erhöhe. Denn dabei geht es um die Lebensqualität erhöhende Vorteile, die keinen ersatzfähigen materiellen Wert darstellen. Die genannten Gesichtspunkte betreffen nicht die alltägliche Nutzbarkeit zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung und entziehen sich daher einer vermögensrechtlichen Bewertung (vgl. Senatsurteile vom 23. Januar 2018 - VI ZR 57/17, BGHZ 217, 218 Rn. 9; vom 10. Juni 2008 - VI ZR 248/07, NJW-RR 2008, 1198 Rn. 10; Senatsbeschlüsse vom 11. September 2012 - VI ZR 92/12, Schaden-Praxis 2012, 438 Rn. 2; vom 13. Dezember 2011 - VI ZA 40/11, NZV 2012, 223 Rn. 5; vgl. auch Senatsurteil vom 18. Mai 1971 - VI ZR 52/70, BGHZ 56, 214, 221, juris Rn. 17; OLG Koblenz, VersR 2018, 1275 Rn. 8; Oetker in MüKoBGB, 9. Aufl., § 249 Rn. 76). 13 - 8 - b) Nach diesen Grundsätzen war der Klägerin auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Benutzung ihres Zweitwagens, des 3er BMW Kombi, zumutbar. Dass es sich bei diesem Fahrzeug nicht um ein Cabriolet handelt, es mithin nicht dasselbe Fahrgefühl für den geplanten Urlaub am Gardasee vermitteln konnte wie das Cabriolet, und es im Vergleich zu diesem eine geringere Wertschätzung erfährt, vermag einen materiellen Schaden nicht zu begründen. Vortrag der Klägerin dahingehend, dass dem Zweitwagen objektiv die Eignung als Fortbewegungs- und Transportmittel gefehlt hätte, ist weder festgestellt noch als übergangen gerügt. Die Hinweise der Revision auf das Vorliegen einer Vorsatztat (im Gegensatz zum in der Regel fahrlässig verursachten Verkehrsunfall), auf das Prozessverhalten der Beklagten und auf den Grundsatz von Treu und Glauben vermögen an dem Erfordernis eines Schadenseintritts und an der von Gesetzes wegen gebotenen Abgrenzung des ersatzfähigen materiellen Schadens von dem nicht ersatzfähigen immateriellen Schaden nichts zu ändern. 4. Soweit die Revision am Rande bemerkt, dass "dem Geschädigten" jedenfalls Kostenersatz für die Haltung des Reservefahrzeugs (sogenannte Vorhaltekosten) zuzuerkennen wäre, ist Vortrag der Klägerin zu den tatsächlichen Voraussetzungen für die Ersatzfähigkeit dieser Kosten (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Januar 1978 - VI ZR 164/75, BGHZ 70, 199, 201, juris Rn. 10 für einen 14 15 16 - 9 - beschädigten Linienbus) und zu deren Umfang weder festgestellt noch von der Revision als übergangen gerügt. Seiters Oehler Müller Allgayer Böhm Vorinstanzen: AG Leipzig, Entscheidung vom 19.03.2021 - 118 C 5637/20 –

URHEBER-MEDIENRECHT

 

 

BGH Urteil vom 23. Mai 2023 - VI ZR 476/18

Auslistungsbegehren gegen google - 

kein Vorprozess nötig, aber hinreichende Glaubhaftmachung

Sachverhalt:

Der Kläger ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleistungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. Die Klägerin war seine Lebensgefährtin und Prokuristin einer dieser Gesellschaften. Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, "durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", erschienen im Jahr 2015 mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der Kläger bebildert. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern. Die Kläger machen geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie begehren von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als Vorschaubilder ("thumbnails") anzuzeigen. Die Beklagte hat erklärt, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27. Juli 2020 zunächst ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zwei Fragen zur Auslegung von Art. 17 Abs. 1 DS-GVO zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Fragen mit Urteil vom 8. Dezember 2022 (C-460/20, NJW 2023, 747 = AfP 2023, 42) beantwortet. Die Auslistung hänge nicht davon ab, dass die Frage der Richtigkeit des aufgelisteten Inhalts im Rahmen eines von dieser Person gegen den Inhalteanbieter eingelegten Rechtsbehelfs einer zumindest vorläufigen Klärung zugeführt worden ist. Der Betreiber der Suchmaschine sei verpflichtet, einem Auslistungsantrag stattzugeben, wenn die eine Auslistung begehrende Person relevante und hinreichende Nachweise vorlege, die ihren Antrag zu stützen vermögen und belegen, dass die in dem aufgelisteten Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig seien oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig sei. Hinsichtlich der Vorschaubilder sei dem Informationswert dieser Fotos - unabhängig vom Kontext ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite, der sie entnommen sind, aber unter Berücksichtigung jedes Textelements, das mit der Anzeige dieser Fotos in den Suchergebnissen unmittelbar einhergeht und Aufschluss über den Informationswert dieser Fotos geben kann - Rechnung zu tragen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat daraufhin die mündliche Verhandlung fortgesetzt. Die Revision war teilweise erfolgreich.

Bezüglich der beanstandeten Verweise auf die genannten Artikel hat der Bundesgerichtshof die klagabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Bei einem Artikel fehlte es bereits an dem notwendigen Bezug zu der Person des Klägers. Hinsichtlich der beiden anderen Artikel haben es die Kläger versäumt, gegenüber der Beklagten den ihnen obliegenden Nachweis zu führen, dass die dort enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind.

Bezüglich der Vorschaubilder hatte die Revision der Kläger hingegen Erfolg und der Bundesgerichtshof hat die Beklagte zur Auslistung der Vorschaubilder in der beanstandeten Form verpflichtet. Eine Anzeige der für sich genommen nicht aussagekräftigen Fotos der Kläger als Vorschaubilder ohne jeden Kontext war nicht gerechtfertigt.

 

ARBEITSRECHT 

 

LAG Niedersachsen Urteil vom 08.03.2023

8 Sa 859/22, nicht rechtskräftig

Der Be­weis­wert einer Ar­beits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung (AU) kann nach einem Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen er­schüt­tert wer­den, wenn sich der Ar­beit­neh­mer nach Er­halt einer ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kün­di­gung un­mit­tel­bar zeit­lich krank mel­det und dies für den ge­sam­ten Zeit­raum der Kün­di­gungs­frist so bleibt. An­ders liegt der Fall, wenn der Ar­beit­neh­mer sich erst krank mel­det und dann die ar­beit­ge­ber­sei­ti­ge Kün­di­gung er­hält.

 

 

In dem vom LAG mitgeteilten Fall stritten die Parteien über Entgeltfortzahlungsansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger war vom 16.03.2021 bis 31.05.2022 Arbeitnehmer der Beklagten, die ihn zuletzt am 21.04.2022 beschäftigte. Er meldete sich am 02.05.2022 krank und legte nachfolgend AU-Bescheinigungen seines behandelnden Arztes für den Zeitraum ab dem 02.05.2022 bis zum 31.05.2022 mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05.2022, dem Kläger zugegangen am 03.05.2022, ordentlich zum 31.05.2022 und verweigerte wegen der Koinzidenz der Krankschreibung und der Kündigung die Entgeltfortzahlung.

Krankmelden kann Beweiswert der AU erschüttern

Das Arbeitsgericht Hildesheim hatte der Klage des gekündigten Arbeitnehmers mit Urteil vom 26.10.2022 (Az.: 2 Ca 190/22) mit der Begründung stattgegeben, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch die Arbeitgeberin erschüttert worden sei. Die hiergegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Die LAG-Richter stellten zwar klar, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch dadurch erschüttert werden könne, dass der Arbeitnehmer sich im Fall des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend - "postwendend" - krankmeldet bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Dies gelte insbesondere dann, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist - auch durch mehrere AU-Bescheinigungen - abgedeckt werde.

Melde sich aber zunächst der Arbeitnehmer krank und erhalte er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehle es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der AU-Bescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang, so das LAG weiter. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben sei, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesunde und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginne, erschüttere in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von AU-Bescheinigungen nicht. Ob diese Ansicht stimmt, müssen nun die Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt entscheiden, denn die Revision wurde zugelassen und eingelegt (Az. am BAG: 5 AZR 137/23).

 

zu LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.03.2023 - 8 Sa 859/22

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